Fast zwei Stunden Aussprache, drei Dutzend Redner:innen, eine beeindruckende Bandbreite von Argumenten: In Berlin ist am vergangenen Wochenende auch eine SPD zu erleben, die sich nicht von übertriebener Rücksichtnahme auf die Koalitionspartner CDU und CSU leiten lässt. Es geht um die eigene Geschichte, über die historische Verantwortung bis zur Verteilungsgerechtigkeit. Der Delegierte Aaron Spielmanns aus dem Rhein-Erft-Kreis (NRW) wirbt leidenschaftlich für die Erkenntnis, dass Menschen, die sich die Miete oder einen Urlaub nicht mehr leisten können, nur mit programmatischen Veränderungen für die Abwendung von radikalen Ideen interessiert werden können.
Nicht nur, aber auch die Debatte über die AfD gibt einen Fingerzeig, wie diese Veränderungen aussehen könnten. Denn viele Delegierte reden, ohne die Forderung konkret auszubuchstabieren, einem Linksruck das Wort. Wenn es um mehr bezahlbaren Wohnraum geht, besser ausgestattete Kitas und Schulen, um Klimagerechtigkeit und Verlustängste. "Und über allem schwebt das Thema, wie wir erreichen können, dass sich die Reichen mehr beteiligen müssen", sagt Erik von Malottki, Landesvize in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Ost-Landesverbände stehen besonders unter Druck von rechtsaußen. In Sachsen-Anhalt ist Landtagswahl im Herbst 2026. Die SPD liegt in aktuellen Umfragen bei sieben Prozent. In Sachsen ist sie im vergangenen Herbst mit 7,3 Prozent der Stimmen ins Parlament gekommen. Die AfD wurde mit 30 Prozent hinter der CDU knapp gerade nicht stärkste Partei, liegt aber mittlerweile in der Demoskopie deutlich vorn. Alle Redner:innen beschwören in Berlin die mit der Vorbereitung eines AfD-Verbotsverfahrens verbundene Hoffnung: Den Menschen klar machen zu können, welchen Ideen und Überzeugungen sie überhaupt anhängen. Und viele Delegierte berichten von eigenen Erfahrungen.
Thüringens SPD-Innenminister Georg Mayer bezeichnet seine Heimat als jenes Bundesland, "in dem der Prozess, die Demokratie von innen heraus zu zerstören, am weitesten fortgeschritten ist". Schon allein deshalb, weil die AfD mittlerweile mit ihrer Sperrminorität im Landtag die Ernennung neuer Richter blockieren kann. Dorothea Marx, Innenexpertin der SPD-Landtagsfraktion aus dem Kyffhäuserkreis, stellte sich als "Oma gegen rechts" vor und richtete "Grüße aus der blauen Hölle" aus. Nach ihrer Überzeugung reicht ein noch so engagierter politischer Kampf gegen die Faschisten:innen nicht mehr aus. Sie will sagen können: "Da ist die Tür, und raus mit euch." Am Ende fällt die Entscheidung einstimmig: Die Delegierten sprechen sich für die Vorbereitung eines AfD-Verbotsverfahrens aus.
Auch Jurist:innen werben für ein Verbotsverfahren
Immer mehr Staatsrechtler:innen unterstützen die Idee ohnehin, zügig "rechtlich fundiert und sorgfältig zu prüfen", ob ein Verbot der AfD möglich sei, wie es im SPD-Antrag heißt. Laut Beschluss der Delegierten soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt werden, um Material zu sammeln und zu sichten. Sei die Verfassungswidrigkeit nachweisbar, solle deren Feststellung beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden – "zum Schutz unserer Demokratie und aus Verantwortung vor unserer Geschichte".
6 Kommentare verfügbar
Michael Bitt
vor 5 StundenAls erstes, der SPD Parteitag kann kein AfD Verbot vorbereiten. Und der SPD Parteitag kann auch kein Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen. Und die Bundesländer in der die SPD (mit)regiert sind auch…